INTERVIEW MIT ROCK GITANO
"Ich wuchs zwischen Raubtieren und Elefanten auf"
Rock Gitano ist schon fast eine Legende und nicht mehr wegzudenken vom Zürcher Nachtleben. Seit mehr als 15 Jahren beglückt er das Publikum mit Balkanbeats und Gypsy Punk. Gypsy Musik Network sprach mit ihm über seinen Werdegang als DJ, seine Herkunft als Jenischer, und wie er Eugene Hutz von Gogol Bordello kennen lernte.
Hallo Rock, wie geht es dir? Stell dich doch bitte nochmals kurz vor, für die Leute die dich vielleicht noch nicht kennen.
Mein Name ist DJ Rock Gitano. Ich komme aus Zürich und lege seit ca. 15 Jahren Balkan Musik und Gypsy Punk auf. Die Musik der Fahrenden hat mich schon mein Leben lang begleitet, da meine Wurzeln Jenisch sind. Meine DJ Sets bestehen aus einem bunten, brodelnden Mix aus Gypsy und Balkan Musik, Punk, Disco, Rap, Drum'n'Bass und Polka, der zum abtauchen, mitsingen, sich vergessen und tanzen verlockt.
Mittlerweile lege ich regelmässig in Städten wie Berlin, London und München auf, und verschiedene Lokalitäten wollten mich bereits schon als Resident DJ buchen. Doch das passt nicht zu mir und in meine Welt. Verpflichtungen, Regelmässigkeiten, Gebundensein - das mag ich nicht. Dennoch lege ich immer wieder mal im Helsinki, El Lokal in Zürich oder in der Bar 59 in Luzern auf. Für Gogol Bordello lege ich wenn immer möglich an Tour Konzerten in Europa als Party-DJ auf. Genauso wie an Konzerten der Zürcher Gypsy-Punk Combo Palkomuski.
Du hast mir erzählt dass du in deiner Kindheit zum Teil beim Zirkus aufgewachsen bist. Erzähl uns bitte ein wenig mehr aus dieser Zeit.
Ich wurde 1968 unter Fahrenden Eltern geboren, und unter der Aktion der Stiftung Pro Juventute 1969 mit Hilfe der Behörden als eines von 586 Kinder aus fahrenden Familien meinen leiblichen Eltern weg genommen und in ein Heim untergebracht. Das Ziel der Aktion war es, die „Kinder der Landstrasse“ zu sogenannt „brauchbaren Gliedern der Gesellschaft“ zu erziehen, und so die Nichtsesshafte Lebensweise zu beseitigen. Der Zufall, wenn man an Zufälle glaubt, wollte es aber so, dass meine spätere Adoptiv Familie alles andere als Bürgerlich und Sesshaft war und ich nach kurzer Zeit zu meiner Tante in den Zirkus kam wo ich bis zu meinem 16. Lebensjahr dann auch blieb. Ich wuchs zwischen Raubtieren und Elefanten auf. Das hiess am Morgen früh aufstehen und die Tiere misten, reinigen und pflegen. Leider hatte ich auch hier keine Möglichkeit die Jenische Sprache zu lernen, bis auf ein paar gleiche Wörter welche auch im Zirkus verwendet werden. So wurden mir dafür die Kommandos der Zirkuselefanten auf Deutsch, Englisch und Singalesisch beigebracht.
Ausserhalb der Vorstellungen wurde übrigens oft gefeiert und musiziert. An privaten Zirkus Partys, Hochzeiten und Geburtstagen wurden dann die traditionellen Polnischen und Rumänischen Gypsy Lieder gespielt. Da die Musik so fröhlich, traurig, schön, melancholisch, romantisch aber auch positiv ist, und mich mit meinen Wurzeln immer wieder stark verbindet, geht mir auch heute noch beim hören dieser Musik jedes Mal das Herz auf.
Und Zwischenzeitlich, konntest du die Jenische Sprache erlernen?
Leider noch nicht ganz fliessend. Ich spreche wie gesagt durch den Zirkus einige Sprachbrocken. Die lokale Sprache, am Ort wo die Fahrenden leben, bildet ein Gerüst. Daneben hat die Sprache aber auch etwas völlig Eigenständiges in Wortbildung, Bedeutung und Gebrauch. Das kann man eigentlich in einem Lexikon gar nicht festhalten.
Ok verstehe. Wie ging danach deine musikalische Laufbahn weiter, wann hast du mit DJing angefangen?
Mit dem Auflegen im Club fing ich Anfang der 90er an. Damals bewegte ich mich vor allem in der Elektro-Szene, verkehrte in der Zürcher Dachkantine. Meine Passion galt aber schon damals der Balkan- und Gypsy Musik. Weil es dazumal in den üblichen Clubs verpönt war Balkan/Gypsy Musik zu spielen, habe ich es zur Freude anderer und mir an Geburtstags Partys gespielt. Wenn dann der Alkohol schon reichlich geflossen war, gab es kein Halten mehr! So eine Stimmung voller Freude und Lebenslust habe ich bis heute an keiner Elektro oder Techno Party gesehen.
Anfangs 2000 hatte ich dann bei Goran Potkonjak im Moods das erste offizielle Balkan Booking. Von ihm bekam ich dann auch den DJ Namen Rock Gitano, da er meine Vorgeschichte der Fahrenden kannte.
Wie kam es dazu, dass du für die Europa Gigs von Gogol Bordello der Tour DJ wurdest?
Gogol Bordello, respektive Eugene Hutz, lernte ich aus der Zeit als er noch mit seinem VW Bus durch die Lande tingelte und oft in der Schweiz verweilte kennen. Er hatte sich dazumal in eine Zürcherin verliebt deren Name ich hier aus Respekt nicht verraten möchte. Diese Person machte u.a. auch das legendäre Gogol Bordello Logo mit dem Slingshot das bis heute noch ihr Markenzeichen ist.
Da Eugene sich stark mit seiner Roma Kultur auseinander setzte und auf der Suche nach seinen Wurzeln war, kamen wir nach einem Konzert in der Roten Fabrik im Ziegel au Lac auf unsere Herkunft zu sprechen. Ich mit meinen Jenischen, er mit seinen Roma Wurzeln. Wir tranken bis in die frühen Morgenstunden Rotwein und unterhielten uns über Zigeuner Musik. Als Gogol Bordello dann das nächste Mal in Zürich spielten, durfte ich nach dem Konzert auflegen. So wurde es schon fast zur Tradition, dass immer wenn es mir möglich war, ich nach Gogol Bordello Gigs auflege.
Alles klar. Können wir für die Zukunft auch einmal eine Rock Gitano DJ Compilation erwarten?
Nach langem Wunsch und hin und her, habe ich mir dieses Jahr endlich neben meiner Facebook Fan Page eine Webseite mit meiner ersten Rock Gitano DJ Compilation eingerichtet. Dort kann sich jede(r) anhören was ich für Musik mache, respektive auflege...
Ja, hab ich mir angehört, gefällt mir sehr. Aber eine echte CD zum anfassen wäre doch auch was Schönes!
Ja. Darum habe ich auch beschlossen, die Compilation im Kultur Büro in einer relativ kleinen Auflage zu brennen. Das Cover dazu hat mir mein Mitbewohner ein noch unbekannter, jedoch begnadeter Karikaturist extra gestaltet. Ich werde sie an Gypsy Musik Freunde und an einige Veranstalter verschenken. Du wirst bestimmt als Erster eine kriegen!
Danke! Wir sind gespannt! Gibt es eigentlich auch Jenische Songs die du in deinen Sets spielen kannst, oder ist so etwas Mangelware?
Da typisch traditionelle Jenische Musik, Handörgeli Folklore, nicht wirklich in mein Repertoire passt, eher weniger. Der bekannteste Jenische (Rock-)Chansonnier ist übrigens Stephan Eicher. Zusammen mit seinem Bruder Martin Eicher wurden sie mit der Band Grauzone im deutschsprachigen Raum in den 1980ern bekannt. Heute unter den Jenischen Jungen macht auch der Hip Hop natürlich nicht halt. So spiele ich ab und zu Tito Boss mit seiner „Jänisches Läbe“ Ballade.
Vielleicht gibt es ja noch unentdeckte, moderne Jenische Musiker. Also Leute, schickt Rock Gitano eure Demos und vielleicht spielt er euch!
Oh ja, ich bin natürlich immer an Neuem interessiert und freue mich dass es immer noch so viele Leute gibt die meine Musik schätzen und sich daran erfreuen.
Was kann man von dir in der nächsten Zeit alles noch erwarten?
In Zukunft würde ich mich gerne mehr für die Fahrenden und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit einsetzen. Die Jenischen hierzulande leiden darunter, dass sie mit grossen ausländischen Sippen und deren schlechtem Image in einen Topf geworfen werden. Dabei erfüllen die Schweizer Fahrenden in erster Linie alle Klischees, die auf „Schweizer“ zutreffen: Sie sind gut organisiert, anständig, zahlen Steuern, leisten Militärdienst – und sie räumen hinter sich auf. Damit will ich jedoch auch nicht sagen, dass die ausländischen Fahrenden für alles Negative Verantwortlich sind. Aber es gibt halt wie überall einzelne schwarze Schafe die dann das Bild Aller negativ beeinflussen.
Die Schweizer Fahrenden bestehen mehrheitlich aus Jenischen, doch von den rund 30 000 Jenischen sind gerade noch 3000 als Fahrende unterwegs. Die grosse Mehrheit ist sesshaft. Wenn eines Tages durch Ignoranz allen Schweizer Fahrenden diese Wohnform aufgezwungen würde, dann hätten wir gegenüber unserem Volk kläglich versagt.
Schönes Schlusswort. Dem kann ich nur beipflichten. Ich danke dir für das Interview. Und Rock on!
Auch Dir herzliche Dank für deinen Support. Und haltet die Ohren steif!
Das Interview führte Robert Lippuner für Gypsy Music Network